Dr. Claudia Kemper, Physiotherapeutin, Theologin und Gesundheitswissenschaftlerin, hielt vor Kurzem einen höchst interessanten Vortrag zum Thema "Gesundheit ist keine Ware - Geschäftsmodell Gesundheit | Krankenhäuser im Spagat zwischen Ökonomie und Bedarfsgerechtigkeit" für alle Interessierten im SPD Unterbezirk Landkreis Diepholz. Natürlich als digitales Format, weil eine Präsenzveranstaltung immer noch mit hohem Aufwand und einem gewissen Risiko behaftet bleibt.

Normalerweise sitzt dann jede Person allein vor ihrem digitalen Endgerät und lauscht dem Vortrag und beteiligt sich nach Wunsch und Bedarf mit Kommentaren an der Diskussion. Da dies nicht immer unterhaltsam ist, allein vor dem Bildschirm zu sitzen, weil dann auch der Austausch im Nachhinein fehlt, und weil es auch Personen gibt, die vielleicht nicht so techniksicher sind, dass sie die Verbindung über die notwendige Software allein herstellen können, machte die SPD in Bassum das Angebot, in einer kleinen Runde - coronakonform - dem Vortrag gemeinsam zu folgen. So wurde auch die Technik im Marie-Juchacz-Treff einer Probe unterzogen, wobei festgestellt werden konnte, dass ein gewisser Bedarf an technischer Nachrüstung besteht.

Alle Teilnehmenden waren aber im Anschluss sehr zufrieden. "So können wir auch ein digitales Angebot in einer Runde mit dem notwendigen Abstand zueinander gemeinsam nutzen", stellte Luzia Moldenhauer als Vorsitzende des Ortsvereins fest.

Dr. Claudia Kemper
So lässt sich ein digitaler Vortrag auch gemeinsam anschauen. Ein Modell für zukünftige Veranstaltungen nach der Corona-Zeit? Das wird sich zeigen.

Und hier einige Thesen aus Dr. Claudia Kempers Vortrag zum Nachdenken und Weiterdiskutieren:

  • Das Gesundheitswesen hat sich in Deutschland zu einer Gesundheitswirtschaft entwickelt.

Von insgesamt fünf Graden der Ökonomisierung befindet sich der stationäre Sektor im Grad vier. Das bedeutet Verlustvermeidung als „Muss-Erwartung“ kombiniert mit Gewinnzielen als „Soll-Erwartung“. Akteure sollen ihr Handeln an die Marktgängigkeit anpassen. Die Auswirkungen sind: Konzentration auf die gewinnbringende Hauptdiagnose und Operationen.

  • In unseren Krankenhäusern nimmt die Anzahl gutbezahlter Operationen stetig zu, während Abteilungen, die sich nicht rentieren, unabhängig vom Bedarf geschlossen werden.

Krankenhäuser müssen auch große Teile ihrer Investitionskosten über die Fallpauschalen der Krankenversorgung und Operationen decken. Damit steigen Anreize, möglichst viele Eingriffe vorzunehmen, die möglichst viele Erlöse einbringen. Die gesetzlich geforderte bedarfsgerechte Versorgung bleibt dabei auf der Strecke.

  • Die Aufenthaltsdauer der Patienten hat in den letzten 15 Jahren deutlich abgenommen. Patienten werden frühzeitig entlassen, um für neue Fälle Platz zu schaffen.

Seit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs) sinkt die Verweildauer, da es für Krankenhäuser lukrativ ist, möglichst viele Fälle abzurechnen. Daraus resultiert eine Versorgungslücke für sehr rasch entlassene und teils noch hilflose Patienten.

Mit der Einführung der Fallpauschalen kam es zur Abschaffung von Geduld und Abwertung der Sorgfalt in der stationären Versorgung. Das führt auch zur Entfremdung der Heilberufe von ihrer eigenen Identität, was in Zeiten des Fachkräftemangels nicht zu verantworten ist.

Wir brauchen im Gesundheitswesen statt finanzieller eher moralischer Anreize. Das Abrechnungssystem muss bedarfsgerechte vor ökonomischen Entscheidungen ermöglichen. Um den Patienten gerecht zu werden, sollten Zeit, Aufmerksamkeit und Gespräch mehr Bedeutung zugemessen werden.

Allen Beteiligten muss wieder bewusst werden, dass ohne die Ermöglichung von Zuwendung und Zwischenmenschlichkeit auch die bestfunktionierende Medizin nicht wirklich eine humane Medizin sein kann. Die Bedrohung durch die Ökonomisierung der Medizin sollte als eine Chance begriffen werden, sich neu auf diese Kernfesten der Heilberufe zu besinnen. Nur so kann erreicht werden, dass Ärzte und Pflegende im Interesse ihrer ihnen anvertrauten Patienten mit Rückgrat und Entschiedenheit für eine Medizin eintreten, die Medizin bleibt und nicht zur Gesundheitswirtschaft degeneriert.“ Giovanni Maio (2014), S. 161