Ein Leitfaden für Schulträger und Gesamtschul-Initiativen

Fraktion der SPD 1.7.2008 im Niedersächsischen Landtag

1. Das im Jahre 2003 verhängte Verbot, neue (Integrierte und Kooperative) Gesamtschulen zu errichten, ist formal aus dem Schulgesetz gestrichen worden. Den Gesamtschulen wird auch wieder gestattet, Außenstellen einzurichten.

2. Während die Schulträger allgemein verpflichtet sind, Schulen „nach Maßgabe des Bedürfnisses“ zu errichten, sollen sie zur Errichtung einer Gesamtschule lediglich berechtigt sein. Das gilt gleichermaßen für Integrierte und Kooperative Gesamtschulen. Gesamtschulen werden dadurch zu einer Art Angebotsschule.

3. Trotz heftiger Kritik bei der Anhörung zu ihrem Gesetzentwurf haben CDU und FDP daran festgehalten, die Mindestgröße für Integrierte Gesamtschulen von vier auf fünf Züge (Anzahl der Parallelklassen pro Schuljahrgang) anzuheben. Eine Begründung für diese Erhöhung sind die Koalitionsfraktionen schuldig geblieben. Es gibt auch keine Begründung dafür, weder aus schulorganisatorischer noch aus pädagogischer Sicht, schon gar nicht bei insgesamt rückläufigen Schülerzahlen. Die einzige Begründung dafür ist der Versuch so die Hürden höher zu legen, weil so mehr Eltern für eine Gesamtschule votieren müssen. Mit der Anhebung haben CDU und FDP, die früher gegen „seelenlose Mammutschulen“ zu Felde gezogen sind, besonders deutlich gemacht, dass sie keine neuen Integrierten Gesamtschulen wollen, besonders nicht im ländlichen Bereich.

4. Bei Kooperativen Gesamtschulen, die nach Schulzweigen gegliedert sind, soll es zwar bei der Vierzügigkeit bleiben, neu ist aber, dass der Gymnasialzweig mindestens zwei Klassen je Schuljahrgang umfassen muss. Für die Sonderform der Kooperativen Gesamtschule, die nach Schuljahrgängen gegliedert ist, wird die Mindestgröße aber auch von vier auf fünf Züge angehoben, wodurch künftig die Errichtung solcher Schulen erschwert wird.

5. Während für alle anderen Schulformen ein Unterschreiten der Mindestgröße im Ausnahmefall zugelassen wird, soll das für Gesamtschulen nicht gelten. Schulrechtlich bedeutet das, dass eine Gesamtschule aufgehoben werden muss, wenn sie die Fünfzügigkeit unterschreitet (Darauf wird sich ein Schulträger aber kaum einlassen).

6. Kommt es trotz der hohen Hürden zur Errichtung von Gesamtschulen, muss nach den neuen schulgesetzlichen Bestimmungen der Besuch herkömmlicher Schulen „im Gebiet des Landkreises oder der kreisfreien Stadt“ unter zumutbaren Bedingungen „gewährleistet bleiben“. Das bedeutet, dass ein Landkreis keine Vereinbarungen mit einem Nachbarkreis über das Vorhalten herkömmlicher Schulen treffen und eine Hauptschule selbst dann nicht aufheben darf, wenn sie insgesamt nur noch von drei Schülerinnen oder Schülern pro Schuljahrgang besucht wird (Untergrenze für eine Schule sind nach § 1 Abs. 2 NSchG zwölf Schülerinnen oder Schüler).

Nach der Anhörung haben CDU und FDP nicht an ihrem ursprünglichen Gesetzentwurfs festgehalten, nach dem die Schulträger keine Kapazitätsbegrenzung ihrer Gesamtschulen mehr festsetzen durften und verpflichtet wurden, für alle angemeldeten Schülerinnen und Schüler einen Gesamtschulplatz bereitzustellen. Damit werden die bestehenden Gesamtschulen nicht weiter in ihrer Zügigkeit aufgebläht. Es bleibt dabei, dass die Gesamtschulen ein differenziertes Losverfahren durchführen dürfen, wenn die Zahl der Anmeldungen die Zahl der verfügbaren Plätze überschreitet. Für bestehende Gesamtschulen gibt es bezüglich der Mindestgröße (siehe oben Nr. 5) einen Bestandschutz: vierzügig eingerichtete Gesamtschulen dürfen also fortgeführt werden.

Der von der Fraktion der SPD in den Landtag eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes zur Aufhebung des Verbots, Gesamtschulen zu errichten, und zur Stärkung des Elternwillens“ (Landtagsdrucksache 16/44) ist von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Dieser Gesetzentwurf sieht die völlige Gleichstellung der Gesamtschulen mit den übrigen Schulformen vor. Abgelehnt wurden auch Anträge der SPD, die sich auf die „Entschärfung“ des CDU/FDP-Entwurfs beziehen (Mindestgröße von Gesamtschulen, „Gewährleistungs“-Prinzip).

Im Folgenden werden einige Hinweise gegeben, wie zu verfahren ist, wenn ein Schulträger nach In-Kraft-Treten der neuen schulgesetzlichen Bestimmungen (1.8.2008) seine Schullandschaft neu ordnen und – zum Schuljahr 2009/10 - eine Gesamtschule einrichten will.

1. Zuständig für die Errichtung einer (Integrierten oder Kooperativen) Gesamtschule ist der kommunale Schulträger. Er ist nach Maßgabe des Bedürfnisses berechtigt, eine Schule dieser Schulform zu führen, d.h. zu errichten, zu erweitern, einzuschränken, zusammenzulegen, zu teilen oder aufzuheben (§ 106 Abs. 2 (neu) NSchG). Den Beschluss zu dieser schulorganisatorischen Maßnahme fasst das zuständige Gremium des Schulträgers (Kreistag, Rat der Gemeinde). Er bedarf der Genehmigung durch die Landesschulbehörde (§ 106 Abs. 6 Satz 1 NSchG).

2. Schulträger der Grundschulen sind die Gemeinden oder Samtgemeinden (§ 102 Abs. 1 NSchG), Träger der übrigen Schulformen also auch der Gesamtschulen sind die Landkreise und die kreisfreien Städte (§ 102 Abs. 2 NSchG).

Die Gemeinden haben aber einen Anspruch auf Übertragung der Schulträgerschaft für allgemein bildende Schulformen und auch der Gesamtschulen durch die Landesschulbehörde (§ 102 Abs. 3 und 4 NSchG). Für welche Schulformen die Schulträgerschaft übertragen wird – für alle oder nur für einige, etwa für die Schulform Gesamtschule – muss sich aus dem Antrag ergeben, der vom Rat der Gemeinde zu beschließen ist. Der Landkreis kann die Übertragung der Schulträgerschaft auf die Gemeinde nicht verhindern; er ist lediglich zu einem entsprechenden Antrag der Gemeinde zu hören (§ 102 Abs. 4 Satz 1 NSchG). Das bietet Gemeinden die Möglichkeit die Angelegenheit „Gesamtschule“ in die eigene Hand zu nehmen.

3. Ob es ein Bedürfnis für die Errichtung einer Gesamtschule im Bereich eines Schulträgers gibt, stellt die Landesschulbehörde fest. Sie hat dabei die Entwicklung der örtlichen Schülerzahlen und das Interesse der Erziehungsberechtigten (siehe unten Nr.5) an einem Schulangebot zu berücksichtigen (§ 106 Abs. 3 NSchG). Für die Feststellung des Bedürfnisses für eine Gesamtschule ist also zu prüfen, ob sie längerfristig von einer ausreichenden Zahl von Schülerinnen und Schülern besucht werden wird (siehe unten Nr.6). Die Bedürfnisfeststellung muss im Benehmen mit dem Schulträger erfolgen. Die Letztentscheidung der Landesschulbehörde über die (Nicht-)Feststellung des Bedürfnisses stellt einen Verwaltungsakt dar, der vom Schulträger angefochten werden kann.

4. Die Ermittlung des Interesses der Erziehungsberechtigten an der Errichtung einer Gesamtschule erfolgt nach § 106 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 NSchG durch den Schulträger (Landkreis, ggf. Gemeinde). Dazu wird er unter den potentiellen Nachfragern (Erziehungsberechtigte der Schülerinnen und Schüler des 1. bis 4. Grundschuljahrgangs) Umfragen durchführen, wenn es Anhaltspunkte für ein Interesse gibt, das ein Bedürfnis begründen könnte: Unterschriftenlisten, Arbeit einer Initiativgruppe, rückläufige Schülerzahlen bei bestehenden Schulen. Nach Äußerungen von Koalitionspolitikern in der Presse sollen auch die Eltern von Kindern im letzten Kindergartenjahr in die Befragung einbezogen werden. Diese Forderung ist bei den Gesetzesberatungen aber nicht wiederholt worden. Im Schulgesetz selbst finden sich keine Bestimmungen darüber, wie der Schulträger das Interesse der Erziehungsberechtigten zu ermitteln hat. Es gibt hierzu auch noch keine Verwaltungsvorschrift. Hingewiesen werden soll auf einen Fragebogen, den der Landkreis Schaumburg entwickelt hat. Liegt die Schulträgerschaft beim Landkreis, werden sich die Umfragen auf alle Grundschulen im Kreisgebiet erstrecken müssen. Hat sich die Gemeinde die Schulträgerschaft übertragen lassen (siehe Nr. 2), wird sie im Benehmen mit den Nachbargemeinden die Umfragen auch in deren Grundschulen durchführen lassen. Nach § 63 Abs. 4 NSchG können nämlich Schülerinnen und Schüler, die im Schulbezirk einer Schule des herkömmlichen Schulwesens wohnen, eine Gesamtschule eines benachbarten Schulträgers besuchen. Auch für das Erreichen der Fünfzügigkeit (siehe ganz oben Nr. 3) kann eine Zusammenarbeit mit Nachbargemeinden sinnvoll sein. Den Erziehungsberechtigten wird eine Entscheidung erleichtert, wenn in der Umfrage bereits der Standort der in Aussicht genommenen Gesamtschule genannt werden kann. Allgemein ist hierzu festzustellen, dass es nur in sehr seltenen Fällen zum Neubau einer Gesamtschule kommen wird. In der Regel wird eine bestehende Schule umgewandelt werden, wenn sie über eine ausreichende Zahl von allgemeinen und Fachunterrichtsräumen verfügt. In diesem Zusammenhang bieten sich Schulzentren oder zusammengefasste Haupt- und Realschulen an.

5. Die Mindestgröße einer Integrierten Gesamtschule von fünf Zügen bedeutet, dass etwa 130 Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang die Schule besuchen müssten. Bei Kooperativen Gesamtschulen bleibt es zwar bei der jetzigen Mindestgröße von vier Zügen, künftig wird aber verlangt, dass der Gymnasialzweig mindestens zweizügig ist. Bei einer Übergangsquote auf das Gymnasium von etwa 40 % des 4. Grundschuljahrgangs wäre die Folge – so CDU und FDP im Landtag - dass etwa 135 Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang angemeldet werden müssten. Nach dem MK-Erlass vom 4. April 2005 (Nds. MBl. S. 282, SVBl. S. 321) reichen aber 105 Schülerinnen und Schüler aus.

6. Wird von der Landesschulbehörde das Bedürfnis für eine Gesamtschule festgestellt, ist der Schulträger zur Errichtung berechtigt. Seine Gremien werden nach Beteiligung des Gemeinde- bzw. Kreiselternrats (§ 99 Abs. 1 NSchG) und des Gemeinde- bzw. Kreisschülerrats (§ 84 Abs. 1 NSchG). einen entsprechenden Errichtungsbeschluss (jahrgangsweiser Aufbau einer Gesamtschule, beginnend mit dem 5. oder mit dem 5. und 6. Schuljahrgang), ggf. einen Aufhebungsbeschluss (Aufhebung einer Haupt- und Realschule, beginnend mit dem 5. Schuljahrgang) fassen und bei der Landesschulbehörde die Genehmigung dieser Beschlüsse beantragen. Der Nachweis der „Leistungsfähigkeit“ des Schulträgers zur Errichtung einer Gesamtschule gehört nicht zu den Genehmigungsvoraussetzungen.

7. Soll die zu errichtende Gesamtschule als Ganztagsschule geführt werden (§ 23 Abs. 1 NSchG) oder soll sie einen Ganztagsschulzug (§23 Abs. 2 NSchG)erhalten, muss das vom Schulträger eigens beantragt werden. (§ 23 Abs. 4 NSchG).