Seit 1991 erinnert die SPD in Bassum an die Opfer der Reichspogromnacht vom 9.11.1938 und lädt dazu die Öffentlichkeit ein. In diesem Jahr hatten sich knapp 20 Menschen am Standort der ehemaligen Synagoge versammelt, um an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors zu erinnern.

Ortsvereinsvorsitzende Luzia Moldenhauer begrüßte zu Beginn den Superintendenten des Kirchenkreises Syke-Hoya, Dr. Jörn-Michael Schröder als Gast: "Wir freuen uns besonders über Ihren Besuch, weil in diesem Jahr der Jubiläumsfeierlichkeiten zu 500 Jahre Reformation auch wieder verstärkt über die Person Martin Luther und sein Verhältnis zum Judentum diskutiert wurde." Sie verwies darauf, dass bei der Mahnwache an die Opfer der rassistischen Verfolgung erinnert wird, Austausche über Religionen und Glaubenszugehörigkeiten sollten an anderer Stelle erfolgen.

Fraktionsvorsitzender Dr. Christoph Lanzendörfer ging in seiner Ansprache auf das Wesen und die Entstehung von Pogromen ein. Und er verwies darauf, dass die Pogrome der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung von Rassismus geprägt waren, nicht von Glaubensverfolgung. Sein Beitrag ist hier anschließend eingestellt zum Nachlesen.

Zum Gedenken an die Reichspogromnacht 9.11.1938

Ansprache des Vorsitzenden der SPD Stadtratsfraktion Bassum, Dr. Christoph Lanzendörfer, am 9.11.2017, am Standort der ehemaligen Synagoge Bassums

Wir sind wieder dankbar, dass sich heute am Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938 Mitbürgerinnen und Mitbürger zusammengefunden haben, dieses Verbrechens zu gedenken.
Pogrom bezeichnet im deutschen Sprachgebrauch gewaltsame Ausschreitungen gegen andere Menschen, gegen eine Teilmenge einer Gemeinschaft. Diese Ausschreitungen können gegen fremde Volksangehörige gerichtet sein, wie gegen Kurden z.B., oder gegen religiöse Gruppen. Und deswegen waren schon Juden, Muslime, Christen wie aktuell koptische oder assyrische Christen oder Jesiden Opfer.

In Mitteleuropa und Deutschland wurden am häufigsten Juden Opfer von Pogromen, begonnen mit dem Abschlachten der jüdischen Gemeinden entlang des Rheins bis zur Donau, als Begleiterscheinung des 1. Kreuzzugs 1098, sozusagen als warming up. Andere Pogrome wie z.B. die Hexenpogrome im Gefolge der Pestepidemien im 14. Bis 16. Jahrhundert fielen zahlenmäßig dagegen ab. Das individuelle Leid war aber das gleiche.

Und so müssen wir uns heute fragen: Wenn es so viele und so verschiedene Pogrome gab, warum ist dieser 9.11. etwas Besonderes?
Zum einen: Weil er auch stellvertretend für die vielen, vielen Morde steht, die im Gefolge aller Pogrome geschehen sind.
Zum anderen: Weil hier ein Staat Menschen eines Staats als Staatsbürger bewusst gegen eine Minderheit gehetzt hat. Dieser Pogrom am 9.11.1938 war lange vorbereiteter Staatsterror, dem viel zu viele willig folgten, bei dem es eine Werteverschiebung gab: Unmenschlichkeit, Rücksichtslosigkeit und Erbarmungslosigkeit waren die neuen Werte dieses Staats. Und das bewegt uns als Staatsbürger und Staatsbürgerinnen besonders.
Und zum dritten: Parallel zur Werteverschiebung gab es eine Adressatenverschiebung. Während sonst die Juden als Religionsgemeinschaft verfolgt worden waren, haben sie die Nazis als Rasse verfolgt und getötet. Das ist aus zwei Gründen fundamental unterschiedlich: Erstens wurden auch getaufte Juden, konvertierte Jüdinnen wie Edith Stein, manchmal über Generationen hinweg schon christlich, verfolgt. Zu Beginn der Naziherrschaft gab es etwa 500.000 in deutschen Jüdischen Gemeinden versammelte Jüdinnen und Juden, die gleiche Anzahl aber als nichtarische Christen, deren Daten in einer Fremdstämmigenkartei gesammelt wurden. Es zählte nur die rassische Abstammung. Und zweitens: Den Nazis waren tiefe Gefühle wie Nächstenliebe, ja Liebe überhaupt, Solidarität oder Glaube höchst fremd. Sie kannten nur ein Gefühl: das der Ehre des Volkes - was immer darunter zu verstehen ist. Das Komplementärgefühl zu Ehre ist Hass. Und die Nazis hassten alles, was ihren wirren Gedanken nicht folgen konnte.
Die Nazis wussten nichts vom Glauben, sie waren Rassisten.

Deswegen denken wir heute voller Anteilnahme an alle Jüdinnen und Juden unterschiedlicher Konfession, die am 9.11. und im Gefolge davon verfolgt, gequält und getötet wurden.

Superintendent Dr. Schröder erinnerte an die jüdische Gemeinschaft in Bassum, die nicht viel größer war als die Gruppe, die sich an diesem Abend zum Gedenken getroffen hatten. Sie standen an der Stelle, an der früher die Menschen jüdischen Glaubens zum Gebet zusammen kamen. Und auch er hatte ein Gebet zum Anlass mitgebracht, in dem er die Vielfalt des Glaubens und an die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden formulierte: "Gott, zu Dir kommen wir als Muslime, Juden und Christen, denen Dur die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden ans Herz gelegt hast. Wir sehen und nach Recht in einer Welt, deren Ungerechtigkeit manchmal zum Himmel schreit."